Über 30 Zuhörer kamen zur Veranstaltung “Zukunftssichere Sozialsysteme und zielgenaue Hilfen” mit Johannes Vogel, MdB am Donnerstag, 12. August 2021 in den Oxford-Club Bonn. Vogel, der in Bonn studiert hat, freute sich, es sei „schön, mal wieder in Bonn“ zu sein. Er sei „mit Leib und Stolz Sozialpolitiker“, so der Politiker. „Liberale sollten das Feld trotz aller Schubladen nicht anderen überlassen.“ Gerade am Veranstaltungstag selbst hat “Der Tagesspiegel“, in einem Kommentar, Johannes Vogel als „derzeit stärksten Ideengeber der FDP“ bezeichnet. Dieser Einschätzung ist Johannes Vogel auch in der Veranstaltung vollauf gerecht geworden.
Im folgenden können Sie einen ausführlichen Bericht über die Veranstaltung lesen:
Am 12. August 2021 luden die Ortsverbände Bonn und Bad Godesberg des FDP-Kreisverbandes Bonn zu einer Veranstaltung mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP, Johannes Vogel, MdB. Die Veranstaltung im Bonner Oxford-Club trug den Titel „Zukunftssichere Sozialsysteme und zielgenaue Hilfen“.
In seiner Vorstellung des Gastes aus Berlin zitierte Bernd Bollmus, Vorsitzender des FDP-Ortsverbands Bonn, die Hauptstadtzeitung “Der Tagesspiegel“, die gerade an diesem Tage schrieb, dass Vogel „der derzeit stärkste Ideengeber der FDP“ sei. Die FDP-Kreisvorsitzende Franziska Müller-Rech, schulpolitische Sprecherin der NRW-Landtagsfraktion, begrüßte den Berliner Gast ebenfalls und wies auf vielfältige Aktionen im Bundestagswahlkampf hin. Der Vorsitzende der FDP Bad Godesberg, Bernd Fesel, moderierte die Veranstaltung und führte durch die Diskussion.
Johannes Vogel war bereits von 2009 bis 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und ist in der Legislaturperiode seit 2017 Sprecher für Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik der FDP Bundestagsfraktion. Auf dem letzten Bundesparteitag wurde der 39-jährige Vogel zum stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden gewählt.
Vogel, der in Bonn studiert hat, freute sich im Oxford-Club, es sei „schön, mal wieder in Bonn“ zu sein. Er sei „mit Leib und Stolz Sozialpolitiker“, so der Politiker, der beruflich für die Arbeitsagentur die Geschäfte in Solingen führte. „Liberale sollten das Feld trotz aller Schubladen nicht anderen überlassen.“
Vogel, der auch Generalsekretär der FDP Nordrhein-Westfalen ist, wagte eingangs einen Ausblick auf die kommende Bundestagswahl. Als Politikwissenschaftler sehe er die Besonderheit, dass zum allerersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte eine Bundestagswahl stattfindet, bei der der Amtsinhaber nicht wieder antritt.
Vogel nahm über die Sozialpolitik hinaus einen Rundumschlag zu verschiedenen Themen vor. Was die Corona-Krise betrifft, kritisierte Vogel, dass es keine langfristige Vorbereitung auf eine derartige Ausnahmesituation gegeben habe. „Absehbare Versäumnisse holen einen früher oder später ein“, sagte Vogel. „Es gab Pandemiepläne, die schlummerten aber nur in der Schublade“. Man habe bereits gewusst, „dass Deutschland in der Digitalisierung hinten dran hängt“. Doch man wisse auch, „dass in Gesundheitsämtern nur Faxe verschickt“ würden, so Vogel ironisch. Es wäre ein klassischer Fehler, nur die letzte Krise aufzuarbeiten und nicht mit langfristigem Blick auf kommende Krisen vorbereitet zu sein.
Vogel nahm auch die Einwanderungspolitik als Voraussetzung einer effektiven Sozialpolitik ins Visier. Deutschland brauche „dringend mehr gesteuerte Einwanderung, wie die Kanadier es uns vormachen“, so der Abgeordnete. Das Beispiel der Biontech-Gründers Uğur Şahin und Özlem Türeci zeige, „wie wichtig Vielfalt in unserem Land ist“.
Bei kontinuierlicher Rentenentwicklung, rechnete Vogel vor, würden ohne ein Gegensteuern bis zum Jahr 2030 zusätzliche Ausgaben für den Staat in Höhe von 68 Milliarden entstehen. „Die demografische Entwicklung kommt auf uns zu.“ Deshalb sei dringendes Handeln erforderlich. Hier existiere entweder die aus liberaler Sicht wenig erstrebenswerte Option, Rentenbeiträge zu erhöhen, flächendeckend eine zwangsweise Renten ab 70 einzuführen oder, wie Olaf Scholz es anstrebe, Steuermittel einzusetzen, um die Lücke zu füllen. Eine Steuer-Finanzierung hätte dann allerdings wohl eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes um sechs Prozentpunkte zur Folge. Wenn sich an der Rentenpolitik nichts grundlegend ändere, werde dies, so Vogel, langfristig jedoch zu Ausgaben führen, die die Hälfte des Bundeshaushaltes ausmachen könnten. Es bliebe dann kein Spielraum für „Zukunftsinvestitionen, Bildung, Infrastruktur“ und Vergleichbares.
Vogel zufolge machen Schweden, die Niederlande und die Schweiz vor, wie zukunftsorientierte Rentenpolitik aussieht. Diese Länder seien in ihrer Rentenpolitik „demografiefester“ und hätten in ihren Rentensystemen auch einen höheren Aktienanteil. Auch das deutsche Rentensystem müsse „enkelfit“ gemacht werden. Vogel plädierte für die Einführung einer an Aktieninvestments gekoppelten staatlichen Rente. Von den aktuell 18,6 Prozent Rentenbeitrag sollten dann zwei Prozentpunkte in eine gesetzliche Aktienrente investiert werden.
Die Machbarkeit eines solchen Modells hat sich Vogel von renommierten Experten in einem Gutachten durchrechnen lassen. „Da hatte ich wieder richtig Lust auf Politik“, erzählte Vogel sichtlich erfreut. Das Ergebnis: Eine gesetzliche Aktienrente wäre nicht nur kostendeckend, sondern würde langfristig sogar zu einer Senkung des Rentenbeitrags führen würde.
In seinem Vortrag, dem trotz coronabedingter Einschränkungen rund 40 Interessierte folgten, brach Vogel eine Lanze für offene Marktwirtschaft und Unternehmertum. Das Beispiel des Biontech-Gründers zeige, „welchen fundamentalen Unterschied ein einziges Mitglied der Gesellschaft mit seinem Talent machen“ könne. Deutschland brauche eine „Erneuerung des Aufbruchversprechens“. Es komme auf „persönliche Chancen“ an. Eine freie Gesellschaft könne niemals fair sein, wenn es eine Rolle spiele, welchen Bildungshintergrund man hat oder wie jemand aussieht. Der deutschen Gesellschaft entgingen viele Talente, weil Bildungschancen hierzulande ungleich seien. „Bildungserfolg in Deutschland hängt besonders von der Herkunft ab“. Diese Erkenntnis bestehe schon seit Jahren, allerdings habe man sich nicht dagegen gestemmt. Es gehe darum, die besten Schulen nicht dorthin zu bauen, wo die größten Defizite bestehen, sondern zum Beispiel in den Dortmunder Norden – „um Turnouts hinzukriegen“.
Wenn es um die Grundsicherung geht, müsse das Ziel sein, dass die Antragstellung bei Sozialleistungen „so unbürokratisch, chancengleich und würdewahrend ist“ wie nur möglich. Für Laien seien Bewilligungszeiträume, Berechnungshöhen und Ähnliches oft viel zu komplex und nicht mehr nachvollziehbar. Vogel nannte Kontrollen, „wo Leute in Wohnungen gehen, um zu gucken, ob da eine Zahnbürste steht oder man in einer Beziehung lebt“, nur um dann gegebenenfalls gerade einmal fünf Prozent des Regelsatzes zu kürzen. Deutschland belaste „kleinere und mittlere Einkommen am stärksten nach Belgien“. Das müsse sich zugunsten des Abbaus sozialer Ungleichheit ändern. Vogel schlug auch vor, Zuverdienstgrenzen für Jugendliche zu lockern, „um Vermögensungleichheiten in der Gesellschaft abzubauen“.
In der Diskussionsrunde, die sich an Johannes Vogels Vortrag anschloss, war vor allem Thema, wie Menschen, die ihren Arbeitsplatz durch technologischen Fortschritt verlieren, in einem Sozialsystem aufgefangen werden können. Vogel sah dies mit Optimismus: Bisher habe es bei jedem Sprung beim technologischen Fortschritt auch anschließend immer genug Arbeit gegeben. In früheren Jahrhunderten, als noch 99 Prozent der Menschen in Deutschland von Landwirtschaft lebten, habe niemand jemals geglaubt, dass heutzutage nur ein Bruchteil der Gesellschaft in der Landwirtschaft arbeitet und trotzdem genügend Arbeit für alle vorhanden ist. „Technologischer Fortschritt weckt neue Bedürfnisse, die dann mit neuen Produkten und Services gefüllt werden“, erklärte Vogel, der auch Geschichte studierte.
Vogel bemängelte in diesem Zusammenhang auch, dass zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland nie an Weiterbildung teilnähmen. „Lebenslanges Lernen darf nicht klingen wie lebenslanger Knast“. Vogel sprach sich für ein „Midlife-BAföG“ aus, das man für Weiterbildungen oder ein ganzes Bildungs-Sabbatical nutzen kann. Schließlich war auch die Digitalität der Arbeit Thema. Vogel zufolge sind in Deutschland die „Regeln der Arbeitswelt“ veraltet. Als Beispiel nannte Vogel eine Regelung, welche im Homeoffice Laptops ohne Dockingstation verbot. Es bedürfe „mehr Flexibilität“. Das niederländische Modell sei bei selbstbestimmtem Arbeiten die Lösung. Die Niederlande hätten das Arbeitszeitgesetz flexibilisiert. Wenn man über ortsunabhängiges Arbeiten spreche, müsse man jedoch auch in den Blick nehmen, wie Steuern in der EU harmoniert werden können.